Litauen fühlt sich gerade richtig gut an. Ich sitze auf der Kurischen Nehrung, direkt an der Ostsee, keine tausend Meter von der russischen Grenze entfernt, an einem Strandabschnitt der nicht so überlaufen ist. Als ich heute mit dem Schiff in Nida angekommen bin, hatte ich wieder das Gefühl, in eine andere Welt einzutauchen. Auf dem Schiff, dass morgens die Touristen nach Nida bringt und abends wieder aufs Festland mitnimmt, war das Durchschnittsalter 65+, im Ort Nida und auf dem Campingplatz gehöre ich zu den Alten. Der Platz ist voll mit Jugendlichen , jungen Familien und alles was dazwischen ist. Ich habe auf meiner gesamten Reise noch nicht so viele Bikepacker und vor allem so viele Eiheimische Bikepacker, an einem Ort getroffen. Ich schätze die meisten auf Mitte zwanzig bis Mitte dreißig. Wenn man möchte kommt man sofort ins Gespräch und kann sich über Reiserouten, Sehenswürdigkeiten und das Leben austauschen. Es ist wieder ein krasser Wechsel, ähnlich wie in Danzig.
Die letzten drei Tage waren absolut schön! Es begann in dem tollen Restaurant auf dem ersten Campingplatz und nahm am nächsten Tag mit dem kennenlernen des Mannes aus Kiel, der die Nacht über mein Zeltnachbar war, seinen weiteren lauf. (Leider habe ich seinen Namen vergessen, aber ich weiß das er mit einem J begann.) J ist Ende zwanzig, lebt in Kiel und ist dort auch mit den Fahrrad gestartet und war wie ich die erste Nacht in Litauen. Mittlerweile erkenne ich recht gut aus welchem Land die verschiedenen Menschen kommen. Bei ihm war ich mir sehr sicher, dass er aus Deutschland kommt. Zufälligerweise hatten wir den gleichen Weg für den Tag geplant, was in Litauen nicht besonders verwunderlich ist, aber dass wusste ich da noch nicht. In Litauen gibt es Landstraßen / Bundesstraßen, und Nebenstraßen. Die ersten sind meistens durchgehend asphaltiert, die zweiten sind mit Glück mit dem Rad zu befahren. Stellt euch eine Straße in Afrika in einer Wüste oder im australischem Outback vor. Auf dem Niveau sind die Straßen hier auch. Ich war durch Polen so einiges gewohnt, aber hier fahre ich nur auf den Hauptstraßen, auch wenn keine Radwege vorhanden sind. Auf unserer gemeinsamer Tour am 05.07. sind wir am Ende ein sechs Kilometer langes Straßenstück, parallel zur Memel, „gefahren“. Dafür haben wir eine Stunde gebraucht. J ist fast durchgedreht, er war richtig genervt, ich dachte mir „Augen zu und durch, geht ja nicht anders“. J war ansonsten auch sehr angespannt, er war seit 12 Tagen unterwegs und hatte noch keinen Ruhetag eingelegt (Auch er ist nicht an der Küste lang gefahren, sonder hat die kürzeste Route genommen). Ich Glaube ich war ähnlich drauf als ich meine Pause brauchte. J wollte aber weiter, ohne Pause. Wir haben die Nacht wieder gemeinsam auf einem Campingplatz verbracht. Am nächsten Morgen bin ich Richtung Westen und J wollte Richtung Norden, nach Riga, Tallinn und dann Helsinki, aber weil es geregnet hat war er die ganze Zeit am hardern, was er machen soll. Ich weiß nicht für was er sich entschieden hat und werde es voraussichtlich auch nie erfahren und diese Gefühl ist irgendwie beruhigend aber auch merkwürdig, weil ich nach einem Tag gemeinsamen intensiven Radfahren doch eine gewisse Verbundenheit spüre. Mal sehen wie lange das anhält? Im übrigen war J auch froh aus Polen raus zu sein. Er fand es auch anstrengend und herausfordernd. Ich habe den Eindruck, dass das Radreisen wie ich es mir vorgestellt habe, hier erst richtig beginnt. Entspannt dahinradeln, in einer Art Meditation. Die gemeinsamen 118 Kilometer mit J waren es auch. Quatschen über Fahrradfahren, wie mache ich was am Abend, was esse ich, wo kaufe ich ein, das Leben als solches und ganz wenig über den Job. Einfach kurzweilig. Zwischendurch ruhig sein und einfach nur treten, treten, treten.
Es gibt so Dinge im Leben, die so schön und entspannend sind, die man sich vorher gar nicht vorstellen konnte. Ich sitze seit zweieinhalb Stunden am Strand, schreibe, schaue aufs Wasser, genieße die Sonne und den warmen Sand und wenn ich möchte warte ich bis zum Sonnenuntergang.
Eine weitere tolle Begegnung hatte ich am Abend bei der Ankunft auf dem Campingplatz mit einem Paar aus Chemnitz. Zwei stolze Sachsen, die die Wiedervereinigung für das größte Geschenk ihres Lebens hielten. Sie reisen seit 25 Jahren mit dem Fahrrad durch ganz Nordeuropa. Anreise mit dem Zug und teilweise mit dem Schiff und dann ging’s weiter. Dieses Mal waren sie mit der Bahn bis nach Travemünde gefahren und dann mit dem Schiff nach Klaipeda. Die Beiden hatten eine so positive Lebenseinstellung, die mitreißend war. Wir haben über zwei Stunden tolle Gespräche geführt, unter anderem über unsere Erfahrungen mit der DDR. Am nächste Morgen, beim Warten, dass der Regen endlich aufhört, hatten wir mindesten wieder eine Stunde gemeinsam verbracht. Um 10 Uhr ging es dann für sie und mich weiter. Die Sachen Richtung Osten, ich Richtung Westen (und J?). Zur gleichen Zeit startete auch ein litauisches Dreierteam Richtung Westen, so wie ich auf der gleichen Route. Sie wollten nur nicht ganz so weit fahren wie ich. Unterwegs traf ich ein Paar mit Hund aus Litauen das seit drei Tagen auf dem gleichen Weg gefahren war. Wir haben uns am Abend auf einem Campingplatz wieder getroffen und die Nacht als Zeltnachbarn verbracht. Die beiden hatten mich dann auch über das Radreisen in Litauen aufgeklärt. Wenn man hier seine Radreisen plant hat man fast nur die Möglichkeiten sich an die Radrouten zu halten, um einigermaßen voranzukommen. Oder man ist mit dem Mountainbike unterwegs, dann gehts vielleicht nicht so schnell aber entspannter auf den Nebenstraßen.
Mein Plan für morgen ist es, auf der Kurischen Nehrung nach Norden, Richtung Klaipeda und ein kleines Stück weiter zu fahren.
Übrigens: Heute war mein Zuckertag, gefühlt habe ich mich nur von süßen Sachen ernährt. Wenn ich nicht Fahrrad fahre achte ich nicht so auf meine Ernährung und lass mich leicht von den süßen Leckereien verführen, dazu gab es reichlich Kaffee (mit Zimtschnecken). Morgen Früh gibt es wieder Haferflocken mit Joghurt und Blaubeeren (auch sehr lecker).
Lieber Rainer seit einigen Tagen lese ich sporadisch deinen Block
Deine Entspannung kann ich fast spüren du schreibst super es ist eine große Freude deine Reise zu verfolgen
Weiter viele nette u interessante Begegnungen liebe Grüße Kirsten Malluvius
Liebe Kirsten,
ich bin sehr froh und dankbar diese Erfahrungen machen zu können, auch wenn ich es mir vorab ganz anders vorgestellt hatte und meine Erwartungen an die Realität anpassen musste, so habe ich doch das gefunden was ich mir erhofft hatte.
Liebe Grüße Rainer