Ich glaube, die beiden letzten Tage waren für meine Reise sehr entscheidend.
Am Mittwoch war sie da, die Fragen aller Fragen auf einer solchen Reise. „Warum mach ich den Scheiß hier überhaupt, was soll das alles?“ Jeden morgen das gleich Prozedere: irgend wie wach werden, Kaffee kochen, Frühstück machen und essen. Dann ist meistens schon eine Stunde um. Anschließend Sachen packen, dabei immer mal wieder überlegen was kommt in welche Tasche und macht das Sinn? Dann das Zelt abbauen und alles ans Rad bringen. Zum Schluss meistens noch mal ins Waschhaus zum umziehen und ggf. duschen, weil es schon wieder so warm ist, sodass ich das gut gebrauchen kann. Diese Reise ist ohne Ziel, der Weg ist das Ziel, deshalb wird es auch so bleiben. Das Ziel ist diese Reise!
Trotz dieser Depri-Stimmung hab ich mich wieder aufs Rad gesetzt und bin losgefahren. Und dann kam die Erlösung vom Himmel. Es fing an zu regnen! Das war geil, das erste Mal wieder richtiger Regen. Es wurde ein eineinhalbstündiger Sommerregen. Dieser Regen hat mich so entspannt und erfrischt. Ich hab es genossen den Regen auf meiner Haut zu spüren und wie mir das Regenwasser durch meinen Helm ins Gesicht lief. Natur pur, welch ein Genuss! Nach dem Regen, der mich auch ein wenig zum frieren gebracht hatte, waren meine Sinne auch wieder frei für alles andere. Ich konnte mich wieder auf das Radfahren konzentrieren, bzw. auf das was es ausmacht. Durch die Natur zu fahren und mit allen Sinnen aufnehmen. Die Vögel die in allen möglichen Klangfarben und Melodien singen, der Wind der in meinen Ohren rauscht, der Duft von frisch gemähtem Heu, die kühle der Wälder, das surren der Insekten und die vielen Kleinigkeiten. Es war eine Wohltat, ein bisschen wie aufwachen in einem anderen Leben das schon lange zurückliegt. Diesen Prozess habe ich auch bei meiner Alpen-Tour erlebt, durchgemacht. Für mich gehört es dazu. Ich glaube, vorher war ich noch zu sehr mit technischen Lösungen fürs Rad (Gepäckträger, Kettenblatt und was klappert und quietscht da jetzt schon wieder) beschäftigt und brauchte eine vernünftige Lösung für meine Packordnung. Das läuft jetzt soweit und ich bin nicht mehr so darauf fixiert.
Am Abend war ich wieder ein wenig niedergeschlagen, aber ich denke, dass war ein wenig Heimweh nach der Familie. Ich hätte diesen Moment des „Aufwachens“ gerne mit ihnen geteilt. Außerdem war es der Abend an dem ich nochmal mit Kathrin gesprochen habe, bevor sie operiert wurde. Der Campingplatz tat sein übriges dazu, der war so heruntergekommen und verbreitete keine Freude.
Nach dem Regen traf ich wieder zwei Polen die sehr dynamisch unterwegs waren und jeden Tag 120 Kilometer fahren. Sie haben gebuchte Unterkünfte und fahren einen Woche mit Spargepäck an der Ostseeküste entlang. Bei unserem ersten Treffen am Vortag haben wir beim Quatschen nicht auf den Weg geachtet und sind dadurch einen kleinen Umweg gefahren. Heute haben wir uns beim Quatschen wieder verfahren. Dadurch sind wir einen Umweg von ca. 4 Kilometern gefahren, der auch noch kräftig bergauf ging. Weil die beiden um die 2 km/h schneller sind als ich, hab ich sie nach einer halben Stunde wieder fahren lassen. Es war aber sehr schön sie noch einmal getroffen zu haben. Noch zwei Fun Facts, der eine der beiden Polen konnte es nicht begreifen, dass ich am Tage nicht weiß wo ich am Abend schlafen werde und um welche Zeit ich aufhöre Fahrrad zu fahren. Ich denke mir, geil, dass ich dort anhalten und bleiben kann wo es mir gefällt. Wie auch immer, zum Glück sind wir alle verschieden und es gibt kein allgemeines richtig oder falsch, nur ein anders. Das Zweite, als es anfing zu regnen, haben sich alle Radfahrer und Fußgänger untergestellt und sind auch nicht mit Regenklamotten weitergefahren. Ich bin stumpf weitergefahren, ohne Regenjacke, es waren 22°C. Im vorbeifahren wurde ich angeschaut als ob ich etwas falsch mache, als wenn man bei Regen nicht fahren darf, oder als ob ich etwas unanständiges tue. Dadurch waren für mich die Wege schön frei. Ich hatte Spaß!
Der Donnerstag startet damit, dass ich morgens im Zelt sehr viele Federn aus meinem Daunenschlafsack fand. Auch an den Tagen davor hatte ich immer wieder Federn im Zelt. Heute morgen habe ich dann die Ursache gefunden, drei Löcher im Innenbezug. Meine Stimmung war wieder besser, obwohl ich mit meinen Gedanken doch sehr zu Hause war. Der Tag startete also mit Schlafsack nähen. Mal was anders als packen 😄! Der Weg führte mich heute durch eine tolle Landschaft auf guten Wegen, durch eine Nationalpark für den ich 8 Zloty Eintritt bezahlen musste, die sich voll gelohnt haben. Ich hatte Rückenwind und es life toll. Beim Abendessen um 17 Uhr, in einem Restaurant, hatte ich mir einen Campingplatz in Leba ausgesucht und es waren nur noch 44 Kilometer, so dass ich heute auf gute 110 Kilometer komme. Beim meiner jetzigen Leistung und wie es bis jetzt lief sind das maximal 2,5 Stunden. Geplante Ankunft um 20 Uhr. Um es vorweg zu nehmen, es wurden 130 Kilometer und ich war erst um 22 Uhr am Campingplatz. Was dabei schief lief, lag an zwei Abschnitten auf der Tour, die eigentlich nicht zu befahren waren. Der eine Abschnitt fürchte durch ein Sumpfgebiet, in dem es immer wieder kleine Holzstege mit kurzen steilen Rampen gab. Das war für mich noch ok, und hat in gewisser Weise Spaß gemacht, aber was mich noch erwarten sollte war der Knaller. Nach dem ich um 20:30 Uhr festgestellt hatte, dass ich nach 116 Kilometern noch nicht am Ziel bin und nur noch durch einen kleinen Wald und ein Stück Straßen fahren muss. Habe ich mich selbst über meine Energie und Freude am Radfahren gewundert. Also los gehts, die letzten Kilometer. Der Anfang, ein Stück Straße, dann in den Wald, alles lief gut. Nach ca. einem Kilometer wurde der Waldweg eine Sandpiste, mit meinem Rad und dem Gepäck wurde es sehr schwer zu fahren. Dann ging es bergauf und der Weg war jetzt ein breiter Streifen tiefer Sand im Wald. So zog es sich über fünf Kilometer hin. Schieben aufsteigen ein paar Meter fahren, sieben, wieder aufsteigen, immer und immer wieder. Das fatale an dem Wald waren die Mücken. Sobald ich langsamer als 15 km/h wurde, haben sich hunderte Mücken auf mich gestürzt. Also habe ich versucht zu laufen. Keine Chance! Wie zu erwarten war bin ich aus dem Wald herausgekommen, aber das möchte ich nicht noch mal erleben. Nach dem Wald habe ich nochmal meine Route geprüft und entschieden, dass ich den längeren Weg auf der Straße nehme und alle Waldwege für diesen Tag meide. Auf dem Weg zum Campingplatz habe ich mir an einer Tankstelle noch ein Eis und ein alkoholfreies Bier geholt. Das Eis habe ich kurz inhaliert und das Bier habe ich zum Zeltaufbau um 22:30 Uhr genossen.
Ich glaube, dass sind die Sachen die ich bei einer solchen Tour „schätze“ (mir fehlt gerade das richtig Wort). Bei meiner Alpenüberquerung hatte ich eine ähnliche herausfordernde Situation die in die gleich Kategorie fällt. Sie motivieren mich nicht aufzugeben, weil am Ende alles Gut ist und ist es nicht Gut ist es nicht das Ende. Ich freue mich auf morgen und aufs Radfahren. Übrigens, ich hatte nie bedenken keinen Campingplatz zu finden. Die meisten Plätze in Polen sind abends und nachts bewacht und der Wachmann weist einem einen Platz zu.
Im Nationalpark und ein großer See auf der Strecke.